Schulen sind neben der Familie der wichtigste Ort, um Kinder und junge Leute zu erreichen und sie zu immunisieren gegen jedwede Form von Extremismus. Schulen haben auch offiziell den Auftrag demokratische Bildung und Erziehung zu leisten. Was mir engagierte Lehrkräfte jedoch in den letzten Jahren berichteten, zeigt, dass gerade die konkrete Präventionsarbeit gegen Islamismus bisher kaum etabliert ist. Schulen, die als Institution insgesamt pädagogische Konzepte mit konkreten Maßnahmen gegen islamistische Radikalisierung entwickelt haben, muss man nach wie vor mit der Lupe suchen. Als vor etwa zehn Jahren die salafistische „Lies!“- Kampagne des Kölner Hasspredigers Ibrahim Abou Nagie aus Köln mit der Absicht startete, in ganz Europa 25 Mio. Korane an Infoständen an die Bevölkerung zu verteilen, standen vornehmlich junge Leute im Alter von 15 bis Ende 20 in den Einkaufzonen und warben in erster Linie Jugendliche an, mit erschreckendem Erfolg. Hier hätten beispielsweise die Schulen handeln und mit Schülervertretungen und Arbeitsgruppen Gegenprogramme zum Empowerment starten müssen.

Nach den islamistischen Anschlägen in Paris auf Charlie Hebdo im Januar und auf den Club Bataclan im November 2015 stand Europa zwar unter Schock, da der Islamismus unübersehbar zeigte, dass es hier um Terror und Mord und um die Zerstörung demokratischer Werte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung geht.

Die Maßnahmen und Projekte gegen diese Form des Extremismus blieben aber aus. Bestehende Bündnisse gegen rechts wie auch das bekannte Schulnetzwerk „Schule ohne Rassismus/Schule mit Courage“, dem sich deutschlandweit viele Schule angeschlossen haben, thematisierten weiterhin vornehmlich einen Rechtsextremismus und einen Rassismus, der als „weiß“ verstanden wurde, der also von Angehörigen der „weißen“ deutsch-einheimischen Mehrheitsgesellschaft ausgeht. Die Rassismusformen und ultranationalistische bzw. islamofaschistische Propaganda, die etwa von türkischen, arabischen, bosnischen Communities, reaktionären Moscheevereinen und Islamverbänden ausgehen, blieben weitestgehend ein blinder Fleck.

Stattdessen entwickelten sich Denkweisen und Kampagnen, die sich einem befürchteten Anstieg von Islamfeindlichkeit widmeten. Es wurden Begriffe erfunden, wie etwa „Islamophobie“ und „antimuslimischer Rassismus“, vermittels derer noch mehr als zuvor jedwede Kritik am Islam abgewehrt und sogar pathologisiert wurde. Moscheevereine, Islamverbände und islamistische Gruppierungen wie „Realität Islam“ wussten die Gunst der Stunde zu nutzen. Reihenweise besuchten seither ganze Schulklassen die Moscheen von Ditib und Milli Grörüs.

Das geschah weitgehend ungeachtet der Tatsache, dass Ditib mit seinen 960 Moscheen und Milli Görüs mit 360 Moscheen nachweislich ein reaktionäres Welt- und Menschenbild propagieren, Spitzeldienste in Bezug auf Lehrkräfte leisten, die Kritik an Erdogan, der Türkeipolitik und dem Scharia-Islam üben.

Nicht einmal die jüngsten islamistischen Terrorakte, wie die barbarische Enthauptung des französischen Geschichtslehrers Samuel Paty am 16. Oktober 2020, weitere Morde an Menschen in Dresden, Nizza und Wien haben hier zu einem Umdenken in den Schulen geführt. Die in NRW vom Schulministerium für alle Schulen im Land vorgeschlagene Gedenkminute am 2. November 2020 fand, wie mir Pädagog/innen berichteten, vielfach nicht statt. Die Grauen Wölfe, die in Frankreich verboten wurden, haben in Deutschland weiteren Zulauf und bilden mit etwa 18.000 Anhängern die größte rechtsradikale Gruppierung.

Die Moscheen und islamistischen Verbände zielen allesamt auf eine Indoktrination von Kindern und Jugendlichen, die von klein auf im Geiste der Scharia sozialisiert werden. Keiner kontrolliert bisher, was in den Moscheen an Erziehungsarbeit vollzogen wird. Lokal werden Moscheebauten forciert, deutschlandweit ertönen seit der Coronakrise die Muezzinrufe und werden unzulässiger Weise mit dem Kirchengeläut gleichgesetzt und in ihrer Botschaft verkannt.

An den Hochschulen entstehen zunehmend islamistische Studierendengruppen wie etwa „KulTürk“ und machen den Schulterschluss mit erdoganfanatischen Migrantenparteien wie der „BIG-Partei“, die mit „JuBIG“ eine Jugendorganisation gegründet hat.

Weiterhin gibt es arabischen Islamismus mit eigenen Moscheen, Verbindungen zu Mamas und Hisbollah, den Einfluss der Muslimbruderschaft, „Islamic Relief“ oder Tarnorganisati[1]onen wie „Ansaar International“ als auch die Union internationaler Demokraten (UID), mit denen die migrantische Jugend in eine Gegnerschaft zu unserer demokratischen und freien Gesellschaft sozialisiert wird. Die Demokratie wird unter dem Motto der Religionsfreiheit instrumentalisiert, um sie zu bekämpfen und abzuschaffen. Ähnliche Tendenzen des Aufbaus einer Gegengesellschaft und dem Pauschalverdacht des „antimuslimischen“ Rassismus sind bei „Black lives Matter“ zu beobachten. Polizei, Ordnungskräfte werden offen angegriffen, Jugendliche plündern und zerstören Geschäfte und Innenstädte im Rahmen vandalistischer Events.

Was ist an Schulen nun zu tun?

Wir brauchen eine neue Debatte und neuen Konsens der Ablehnung von Gewalt und Extremismus in all ihren Formen, der den Islamismus als die am schnellsten wachsende extremistische „Jugendbewegung“ aller Zeiten einschließt.

  • Die Kultusministerien müssen Leitlinien, Projekte und Maßnahmenpakete entwickelt werden unter Einbeziehung der Erfahrungen von Lehrkräften, Sozialarbeiter/innen, Schulpsycholog/innen und Frauenberatungen.
  • Die Schulaufsichten, Schulleitungen und Kollegien bedürfen einer Qualifizierung, an der anerkannte Islamismusexpert/ innen beteiligt werden.
    • Inhaltlich muss sich an den Frauen- und Menschenrechten orientiert werden, die konsequent durchzusetzen sind.
  • Keine religiös motivierte Gruppierung darf hier Sonderrechte bekommen, wie etwa die Einrichtung von Gebetsräumen, Fastenzeiten in Schulen oder Gewährung von geschlechtergetrennten Sport- und Schwimmunterricht.
  • Religiöses Mobbing, Bekleidungs- und Verhüllungsvorschriften, Verweigerung von Eltern in Bezug auf Biologieunterricht oder Sexualaufklärung müssen offiziell registriert und mit einer Meldepflicht bei zuständigen Stellen versehen werden.
  • Wir brauchen multiprofessionelle Netzwerke, um betroffene Schulen, Eltern, Kinder und Jugendliche unterstützen zu können. In Fällen islamistischer Gewalt und Bedrohung in Schulen, auch diejenige Gewalt, die Lehrkräfte durch radikalisierte Schüler/innen oder deren Eltern erfahren, müssen diese erfasst und gemeldet werden.
  • Vorfälle dieser Art, von denen Lehrerverbände im Rahmen von anonymen Befragungen Kenntnis erhielten, müssen ernst[1]genommen werden und hier müssen klare Sanktionen erfolgen.
  • Es darf nicht weiterhin geduldet werden, dass Schulleitungen und Schulaufsichten auf Kosten der Betroffenen und um den „Ruf der Schule“ nicht zu beschädigen, Bedrohungen und Gewalt verschweigen oder herunterspielen.
  • Beratungsstellen für Salafismus, wie etwa „Wegweiser-NRW“ (mit 54 seit 2014 mittlerweile lokal etablierten Stellen) und andere Projekte sind daraufhin zu überprüfen, ob sie durch kulturrelativistische Ansätze und Akteur/innen geprägt und beeinflusst sind, die Frauen- und Menschenrechte unter falscher Toleranz und Rücksichtnahme auf reaktionäre traditionelle oder fundamentalistisch religiöse Denkweisen bestimmter Gruppierungen außer Kraft setzen oder ob sie mit Einrichtungen des politischen Islam, also Ditib, Milli Görüs kooperieren.
  • Bei den Fachkräften, die im Umfeld von Schulen zur Beratung und Intervention bei Extremismus und Islamismus eingesetzt sind (wie etwa diejenigen, die abgeordnet und ab Ende 2019 im Land NRW in 25 regionalen Schulberatungsstellen angesiedelt wurden) sollte eine Prüfung erfolgen, welche Qualifikation in Bezug auf Islamismus bei ihnen vorliegt. Diese Landesmaßnahme entzieht sich bisher eine Einschätzung und von Transparenz hinsichtlich der Effektivität ihres Handels kann meiner Kenntnis nach keine Rede sein.
  • Wenn in Schulen Kenntnis hinsichtlich bestehenden salafistischer Netzwerke oder des Einflusses islamistischer Moscheen auf Kinder und Jugendliche besteht, darf dies nicht den Schulleitungen überlassen bleiben, damit umzugehen und dies „intern“ zu regeln.
  • In jeder Schulordnung und in jedem Leitbild einer Schule muss das Handeln gegen islamistische Radikalisierung, gegen sexistische Einschränkungen und religiös begründete Bevormundung von Mädchen und Frauen nachlesbar verankert werden, sodass Betroffene diesbezüglich Maßnahmen einfordern können.

Mit Kindern und Jugendlichen sind kontinuierlich im schulischen Alltag, also im Regelunterricht wie auch in Projekten Themen zu behandeln, die ihre Selbstwirksamkeit fördern, praktisches Empowerment ermöglichen und demokratisches Denken und Handeln und Abwehr gegen islamistische Propaganda vermitteln. Die Erfahrungen und Maßnahmen sollten in überschulischen Workshops unter Hinzuziehung von Expert/ innen auszuwerten und zu dokumentieren, damit das bis bisher noch fehlende Knowhow.


Ali Ertan Toprak ist der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland und ehemaliger Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschlands. Seit der Gründung durch den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im Jahre 2006 war Toprak – damals Mitglied von Bündnis ‘90/Die Grünen – Teilnehmer der Deutschen Islam Konferenz (bis 2012). Der heute 51-Jährige ist seit 2014 aktives Mitglied der CDU und zurzeit Mitglied des CDU-Bundesfachausschusses „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ und Mitglied im Bundesnetzwerk Integration der CDU. Seit 2021 ist er Beauftragter des Hamburger CDU-Landesvorstandes für Vielfalt, Integration und Zusammenhalt. Ali Er tan Toprak hat Rechts- und Sozialwissenschaften studiert und ist als Politikberater international tätig. Er ist Mitglied des ZDF-Fernsehrats und publiziert Texte in Leitmedien, z.B. für die WELT, ZEIT, TAZ, CICERO.

zwd Berlin. In seiner Funktion als Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland(BAGIV) steht Ali ErtanToprak im regelmäßigen Austausch mit Pädagog/innen und auch Lehrkräften in Schulen. Seine Feststellung: „Nicht zuletzt nach der Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty haben wir auch an deutschen Schulen leidvoll erfahren müssen, wie weit islamistische Einflüsse teilweise das Denken und Handeln von muslimischen Jugendlichen prägen.“ Die Schlussfolgerung seines Beitrages für das zwd-POLITIKMAGAZIN: „Schulen und Lehrer dürfen mit solchen Herausforderungen nicht im Stich gelassen werden.“


Wiedergegeben von zwd-politikmagazin_bildung-digital-1-21_islamismus.pdf (fau.de)