Viele Deutschtürken vermissen politische Repräsentation? Dann sollten sie sich zuerst für dieses Land entscheiden. Eine Antwort auf Bülent Güven

“Konservative Muslime in den Bundestag!”, forderte vergangene Woche an dieser Stelle (ZEIT Nr. 15/21) Bülent Güven, ein Vertrauter und Mittelsmann des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. “Gläubige Muslime” seien in deutschen Parlamenten nicht nur unterrepräsentiert, sie würden auch gezielt von der politischen Teilhabe ausgegrenzt, klagte Güven – so wie er selbst, dem man in der Hamburger SPD keine Karrierechance eingeräumt habe. Die meisten Muslime in Deutschland seien deshalb immer noch “meilenweit von einem Zugehörigkeitsgefühl entfernt”, das unser Gemeinwesen brauche.

Mit seiner Analyse hat Güven ja recht: Deutschtürken, die Sympathien für Erdoğan hegen, werden von den deutschen Volksparteien gemieden. Und von ihnen gibt es viele. Bei dem Verfassungsreferendum, das Erdoğan 2017 abhielt, um seine Macht zu zementieren, stimmten hierzulande fast zwei Drittel der 1,5 Millionen in der Türkei wahlberechtigten Deutschtürken für die Änderung.

Nur, was genau ist hier das Problem? Die mangelnde Repräsentation solcher Leute in deutschen Parlamenten? Oder deren mangelnde Loyalität gegenüber der deutschen Demokratie? Ich würde sagen: Ein wahrer deutscher Demokrat kann keinen Autokraten im Ausland unterstützen, der die Demokratie, den Rechtsstaat und die Pressefreiheit abschafft. Das ist der Grund, warum Güven von der SPD nicht nominiert worden ist. Statt sich diesem Konflikt zu stellen, stilisiert Güven den “gläubigen Muslim” zum Opfer der westlichen Demokratien. Dieses Lamento ist nichts anderes als die ewige Opferhaltung, die nationalislamistische Organisationen wie die Erdoğan-Lobby-Organisation Union Internationaler Demokraten (UID) verbreiten. Bülent Güven galt noch vor wenigen Monaten als designierter Vorsitzender der UID und wurde von Erdoğan persönlich empfangen. Er durfte immerhin neben Erdoğan auf dem Stuhl Platz nehmen und musste sich nicht wie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit einem entfernten Sofa zufriedengeben.

Die UID ist eine vom Verfassungsschutz beobachtete inoffizielle Auslandsorganisation der türkischen Regierungspartei AKP, mit deren Hilfe Erdoğan im europäischen Ausland, und vor allem auf deutschem Boden Politik macht. Sie propagiert seit Jahren Erdoğans Verständnis von Integration: “Lasst euch in den Einwanderungsländern einbürgern, dient aber eurem Herkunftsstaat Türkei!” Die Strategie ist klar: Statt mit dem Bekenntnis zur freiheitlichen Gesellschaft gemeinsame Zukunftsziele zu formulieren, wird aus einer unterstellten muslimischen Opferrolle heraus bewusst diese Demokratie verunsichert, um Zugeständnisse einzufordern.

Auch von Güvens Vorwurf der bewussten Ausgrenzung von “Mitte-Muslimen” bleibt nichts übrig, wenn man sich näher mit seinen Argumenten auseinandersetzt. Im Gegenteil, er selbst grenzt einen Großteil der Muslime, nämlich die Säkularen, aus dem Kreis der Mitte-Muslime aus.

Es ist schon eine Anmaßung, zu fordern, dass die Repräsentation von Migranten oder Muslimen in den Parlamenten sich nach deren Anteil an der Bevölkerung zu richten habe, der, so Güven, 26 Prozent betrage. Wenn man schon mit der Zahl der Muslime argumentiert, sollte man die maßgebliche Zahl, nämlich die der eingebürgerten Muslime nehmen, also etwa drei Prozent der Staatsbürger. Nur deutsche Staatsangehörige können wählen und gewählt werden – aus gutem Grund. “Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus”, heißt in Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das ist die “Volksherrschaft” der Staatsbürger. Es gibt keinen Unterschied, ob man aus Ostpreußen, der Türkei, Bosnien oder Aachen stammt oder gekommen ist. Wer den deutschen Pass besitzt, gehört zum deutschen Staatsvolk, Punkt. Aber das setzt eben auch ein gewisses Maß an Loyalität voraus. Jeder Migrant und jede Migrantin, der oder die sich durch einen erfolgreichen Integrationsprozess mit den freiheitlich-demokratischen Grundwerten und den demokratischen Institutionen unseres Staates identifiziert und Staatsbürger oder Staatsbürgerin dieses Landes wird, soll und darf über dieses Gemeinwesen mitbestimmen.

 

WIedergegeben von: Politische Repräsentation: Erdoğan dienen und in den Bundestag wollen – geht’s noch? | ZEIT ONLINE